Denken Sie manchmal auch: „Das hab ich doch gesagt!“, aber niemand versteht Sie? Als würden Sie versuchen, mit Aliens zu kommunizieren?
Stanislaw Lem, Science-Fiction-Autor und Experte für sprachliche Ideen kennt sich damit aus. Er beschreibt in seinem Roman „Die Stimme des Herrn“ den Versuch, die Botschaft einer außerirdischen Zivilisation zu entschlüsseln. Dabei entstehen gigantische Probleme. Auf dem Weg dahin gibt er dem Leser einen anregenden Gedanken mit:
„Zahlreichen Meinungen zum Trotz ist die begriffliche Übereinstimmung in den Sprachen aller irdischen, wenngleich verschieden gearteten Kulturen verblüffend. Das Telegramm „Großmutter gestorben Begräbnis Mittwoch“ läßt sich in jede beliebige Sprache übersetzen […] Das rührt daher, daß jeder Mensch natürlicherweise eine Mutter seiner Mutter hat, daß jeder stirbt, daß Rituale der Leichenbeseitigung eine Invariante der Kulturen sind, ebenso wie das Prinzip der Zeitrechnung“ (Stanislaw Lem – Die Stimme des Herrn, suhrkamp 1995, S. 111).
Das Wunder der Tatsache, dass wir uns überhaupt verstehen können wird deutlich. Es gibt so viele Grundannahmen, da die Welt so komplex ist. Und dennoch gibt es Sachverhalte, die uns allen geläufig sind und uns in dieser Welt überlebensfähig machen. Und zwar, indem wir kulturelle Verabredungen getroffen haben. Sie führen uns wie die weißen Steine von Hänsel und Gretel durch den Wald der Welt oder wie Ariadnes Faden durch das Labyrinth. Und diese Verabredungen bestehen aus Kommunikation. Warum ist das bedeutsam?

??? Was gibt es hier zu verstehen ???
Zu Problemen kann es auf zwei Wegen kommen. Entweder, wenn wir diese sogenannten kulturellen Verabredungen ignorieren oder wenn wir sie als unveränderlich begreifen. Das ist nur ein scheinbarer Widerspruch. Ignoranz wird zum Problem, wenn wir bei Rot über die Straße gehen, wenn wir ohne zu bezahlen unseren Warenkorb mitnehmen oder wenn wir sogar jemanden körperlichen Schaden zufügen. Für all das gibt es kulturelle Verabredungen. Sie merken schon: natürlich könnte man das auch anders verabreden, aber so wie es ist, macht es durchaus Sinn.
Aber nicht alle kulturellen Verabredungen sind immer sinnvoll. Wenden wir diese Überlegungen doch einmal auf Beziehungen an. Natürlich sind die Rahmenbedingungen dafür geregelt. Man darf z.B. niemanden töten. Aber die Ausgestaltung der Beziehungen obliegt uns selbst. Auch wenn uns das oft nicht so vorkommt und wir den Eindruck haben, die Rahmenbedingungen unseres Lebens sind allesamt festgelegt. Dann können nämlich Probleme anderer Art entstehen. Wir fühlen uns eingeengt, werden müde, lustlos, gereizt. Im beruflichen Kontext gelten Verabredungen über Arbeitszeit und Entlohnung. Im Privaten verabredet man vielleicht Treue und gemeinsame Erziehung der Kinder. Aber merken sie, wie sehr wir uns hier in einen Grenzbereich begeben? Was in der einen Familie gilt, gilt noch lange nicht in der anderen. In jeder Institution, Einrichtung oder Firma gilt wieder etwas anderes. Deswegen kann man sich durchaus so fühlen, als beträte man einen anderen Planeten, wenn man auf dem Sofa des Nachbarn Platz nimmt oder wenn man einen Job wechselt.
In genau dieser Situation, in der sich alles fremd anfühlt oder das eigene Universum scheinbar stillsteht, weil alles so problematisch erscheint, lohnt es, sich darüber klar zu werden, was gesetzt ist und was verabredet ist. Dann lohnt es sich zu prüfen, was tatsächlich unveränderbar und was verhandelbar ist. Das Mittel dafür ist die Sprache. Denn sie legt fest oder kann lösen. Sie hilft uns das Fremdartige zu verstehen. Das ist der Moment, in dem das Problem einfach verschwindet.